Stockholm Syndrome Gone Bad
Bedenken zu den Signaturen unter “Wir können nur ändern, was wir konfrontieren”
von Christian von Borries

von berries
5 min readFeb 4, 2021

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Schon im Dezember 2016 hat Angela Merkels CDU die Organisation BDS (boykottieren/ veräußern/ sanktionieren) für antisemitisch erklärt. BDS-AktivistInnen sprächen dieselbe Sprache wie die, die forderten, nicht bei Juden zu kaufen.
“Dies ist nichts anderes als plumper Antisemitismus, wie ihn schon die Nationalsozialisten instrumentalisiert haben.“
https://www.ngo-monitor.org/key-issues/bds/bds-condemnation-by-world-leaders/

Worum geht es jetzt also, nachdem vorrangig vom Deutschen Staat finanzierte Kulturinstitutionen, darunter nicht zuletzt auch das gerade eröffnete Humboldtforum, dessen Chef Dorgerloh, glaubt man Wikipedia, die Kuh aufs Eis getrieben hat, unter dem ideologisch passenden Stichwort “Weltoffenheit” fordern, selbst entscheiden zu wollen ob sie BDS-AktivistInnen einladen oder nicht. Diesem vermeintlich nach Unabhängigkeit der (von Staatsgeld ermöglichten) Kunst rufenden Appell haben sich die Unterzeichnenden mit “Wir können nur…” jetzt angeschlossen, darunter auch militante Antizionisten wie Dror Feiler, selbst Teilnehmer der Gaza-Flotilla, oder Slavoj Zizek.
https://www.timesofisrael.com/celeb-philosopher-after-pandemic-world-as-we-know-it-will-be-just-nostalgia/
Ist nicht allein schon die Tatsache bemerkenswert, dass sich hier eine internationale Gruppe Kulturschaffender hinter einem Brief versammelt, in dem es erstmal um eine spezifisch deutsche Auseinandersetzung geht?
Der Deutsche Bundestag hatte also die Verwendung von Steuergeldern, gegen die Stimmen der AfD, im Mai 2019 verboten. Das heisst übrigens nicht, dass BDS-Leute nicht in Deutschland auftreten können. Es bedeutet nur, dass das nicht mit staatlichem Geld bezahlt werden darf.
Jetzt höre ich die Unterzeichnenden schon sagen, nein, falsch, es gehe garnicht um den BDS, es geht um “Weltoffenheit”, um “widerstreitende Meinungen” — worunter das Humboldtforum und seine Repräsentantin Monika Grütters vermutlich etwas anderes verstehen als sie, und KünsterInnen aus dem Libanon oder Palästina (wie zum Beispiel Walid Raad), die den Terror des Kriegs zwischen der Hamas und IDF erleben, wirklich nochmal etwas völlig anderes.

Es ist aber hier genau die Engführung mit der staatlichen Umgangsweise in Bezug auf das koloniale Erbe Deutschlands, die zu einem fatalen Fehler der Argumentation führt. Indem der Aufruf Holocaust und Kolonialismus gegeneinander ausspielt, relativiert er beide. Es ist ein perfider Dreh, den wir seit dem “Historikerstreit” aus den späten 80ern kennen: politische Gewalt solle, wie argumentiert wird, nicht “in eine Rangfolge gebracht werden”. Erst dann kann man den Holocaust mit anderen Verbrechen des 20. und 21. Jhds. vergleichen? Mir fiele kein anderer Grund für dieses Argument ein.

Kulturschaffenden “aus dem Nahen Osten und dem globalen Süden” werde jetzt mit Racial Profiling begegnet heisst es weiter. Das ist nicht nur eine degradierende Pauschalisierung, sondern vor allem eine absichtsvoll falsche Formulierung, denn es handelt sich hier wenn überhaupt um Political Profiling und nicht um einen beiläufig unterstellten Rassismus (was wiederum keine Aussage über strukturellen Rassismus in Deutschland ist — muss ich hier wohl der Eindeutigkeit halber einfügen).

Dabei sollten sich die Unterzeichnenden fragen, ob in ihrer Weltsicht nicht Israel als kolonisierender Staat das deutsche Trauma auf seine Opfer projiziert. Ich habe den Eindruck, die Schuld an der deutschen kolonialen Vergangenheit wird mit dem Grund für die Entstehung des Staates Israel verwechselt und dennoch kurzgeschlossen. Es entsteht der Eindruck, dass Israel zur deutschen Staatsräson erklärt wurde, damit Kritik an Israel überhaupt erst möglich wird. Mit diesem Twist wird das zur Kritik am eigenen Land, nachdem den Deutschen die rhetorischen und politischen Fallen schon mal präventiv aus dem Weg geräumt wurden. (siehe auch die Debatte um das fatale Texte zur Kunst — Heft)
Muss man also Israel so kritisieren als sei es das eigene Land, aber nicht Deutschland, sondern so als sei man gleichzeitig selbst jüdisch und als sei Israel das eigene Land?
Das wäre dann allerdings ein Fall für die Psychoanalyse und nicht einen politischen Brief zum BDS-Komplex.

Was ist also der BDS? Ist er ein Projekt aus der Mitte der Gesellschaft wie etwa “Querdenken 711”? Beide sind dezentral organisiert/finanziert und dadurch schwer zu greifen. Er scheint eine Soft Power zu sein, die alle, die sich damit identifizieren, unterschiedlich deuten können. Gerade darin ist er sehr wirkungsmächtig. Ob das etwas mit dem weit verbreiteten Antisemitismus in Deutschland zu tun hat, oder ob man beide Phänomene gegeneinander ausspielen sollte wie es hier getan wird? Nein, es sind zwei unterschiedliche Dinge: Die von den Unterzeichnenden geforderte staatliche Billigung des BDS in Deutschland und das staatliche Versagen im Kampf gegen den Antisemitismus. Natürlich war der Judenhasser vor der Synagoge in Halle kein BDS-Mann. Der hat vermutlich noch nie davon gehört.

Wie problematisch die Vermischung der Antisemitismus- und Kolonialismusdebatten ist zeigt auch der Fall des Achille Mbembe, auf den sich ja explizit bezogen wird:
Für den BDS sei Israel eine Kolonialmacht, die ebenso wie das Apartheidsregime in Südafrika durch einen globalen Boykott zu Fall gebracht werden müsse, so Mbembe. Und er erklärt Schwarze zu den „Juden von heute“. (Welche Rolle spielen dann die Juden von heute?)
„Die Auswirkungen des israelischen Projekts (sic) auf den palästinensischen Körper sind viel einschneidender als die relativ primitiven Operationen des Apartheidregimes in Südafrika zwischen 1948 und den frühen 80er Jahren.”
Sein Antisemitismus, sein Israelhass und seine Holocaustrelativierung scheinen ein zentrales Motiv dieser “wertvollen Stimme” zu sein, obwohl er immer als Kolonialismustheoretiker durchgeht.
“Der gegen Israel gewendete Antisemitismus ist zu einer globalen Integrationsideologie geworden, die politische Milieus miteinander verbindet”, beobachtet Samuel Salzborn, Antisemitismusbeauftragter des Landes Berlin.
Es ist ja durchaus eine Kritik an der Politik Israels möglich, die keine Abgrenzung schafft. Dann bereits wäre sie nicht antisemitisch. Antisemitismus ist nämlich nicht nur ein Inhalt, er ist auch eine Form. Deshalb können Dinge strukturell antisemitisch sein, ohne dass der Inhalt das gleich preisgibt.

Vor einiger Zeit war ich selbst dem Druck von BDS-Leuten ausgesetzt, als einer meiner Filme bei der Zabludowicz Collection in London gezeigt wurde.
https://conversations.e-flux.com/t/should-we-boycott-the-zabludowicz-collection/834
Das Argument von linker (britischer) Seite war, dass Goldsmith sich schon komplett dem BDS angeschlossen habe. Auch das eine Verdrehung — als ob eine private Kunstsammlung erst durch ihr Geld aus Israel problematisch wird, und nicht durch das Ausnutzen der Warenförmigkeit von Kunst im Kapitalismus.

Die EU ist die weltweit größte Macht, die NGOs im Nahostkonflikt unterstützt, auch den BDS. Es ist ihr erweiterter aussenpolitischer Arm, ihre Soft Power.
www.ngo-monitor.org/key-issues/bds/funding-for-bds/#europeanunion
Das zeigt bereits die Verfahrenheit der Situation schon innerhalb Europas. In welchem Verhältnis steht das etwa zu Ungarns Staatsantisemitismus oder der katholischen Kirche in Polen, wie zu den Lutheranern Nordeuropas?

Ich frage mich also, warum die Deutschen, und ihr Unterschreibenden, immer diese Israelspezialisten sein müssen. Warum sind wir nicht auf die Verbrechen der EU (oder der USA) spezialisiert, etwa an ihren Aussengrenzen? Sitzen wir nicht selbst im Glashaus, um das es sich vorrangig zu kümmern gälte?
Es kommt mir langsam vor wie ein Stockholm-Syndrom gone bad: Die Umkehrung von Ursache und Wirkung (der Existenz des Staates Israel, dem sein Existenzrecht nicht nur von der Hälfte seiner Nachbarstaaten abgesprochen wird), und der damit zusammenhängenden Politik, die die Bevölkerung des Landes in zwei unversöhnliche Hälften gespalten hat, deren eine unbestritten unsere Solidarität fordert, und nicht ein wirtschaftliche Schwächung. Wirtschaftlicher Druck von aussen führt immer zu Nationalismus, einem politischen Rechtsruck, und ultimativ wieder zur Emigration.

p.s.
Ich bin weder auf der Seite des Deutschen Staates und seiner Kulturstaatsministerin Grütters, noch auf der seines Antisemitismusbeauftragten Klein, weder auf der von Netanyahu noch auf der von vermeintlicher Weltoffenheit, des Humboldtforums oder des besprochenen Briefs.
Da wird man doch glatt zum Anarchisten, lieber David Graeber!

Berlin, im Februar 2021

Mit Dank an Leri Matehha

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